Mittwoch, 24. Oktober 2007

Über die Unverzichtbarkeit der Nation

Aus "Unzeitgemäße Betrachtungen":

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus sind die Völker Osteuropas als solche wieder in die Geschichte zurückgekehrt. Während man in Westeuropa die Vorstellung einer europäischen Wirtschaftsgesellschaft anhängt, leben in Osteuropa nationale Traditionen und ihr Erbe auf. Dem Westen hingegen schwebt nicht etwa ein multinationales, sondern ein multikulturelles Europa vor. An die Stelle von Völkern, Kulturen und partikularen Identitäten tritt dabei aber vielmehr eine Art universaler Interaktions- und Kommunikations-zusammenhang. Besonders Deutschland scheint sich der Mission verschrieben zu haben, alles zu überwinden was das atomare Individuum von der universalen Menschheitsrepublik trennt. Sollte sich die deutsche Tendenz zu rein abstrakten universalen Prinzipien und die inhumane Rationalität einer Verwirklichung der privaten Interessen nicht bald korrigieren, wird sich das deutsche Volk als geschichtliche und politische Größe früher oder später selbst abschaffen. Dabei ist die Notwendigkeit internationaler Institutionen natürlich nicht zu bestreiten. Aber ebenso müssen die Besonderheiten der nationalen und regionalen Kulturen anerkannt werden. Letztlich geht es um die Versöhnung von Universalismus und Partikularismus.
Der besondere deutsche Beitrag Deutschlands zur Moderne war die Hervorbringung des historischen Bewusstseins, auf den sich der Ruhm deutscher Universitäten im 19.Jahrhundert gründete. Das war nicht selbstverständlich – hatte doch Descartes alles was sich auf Geschichte und Autorität stützt, in Frage gestellt und umgestürzt. Alles Sein, was seiner puren Rationalität nicht genügte, war mithin nur noch Objekt einer Umgestaltung nach rationalen, aber ahistorischen Methoden. Wenn man nun den besonderen Platz, den sowohl die Nation, als auch das geschichtliche Denken im konservativen Denken einnehmen berücksichtigt wird deutlich, wie sehr dieses Denken durch die Neuzeit in Frage gestellt wurde. Nun ist das Nationale aber weltweit wieder oder auch nach wie vor, das einzige ordnende Bauelement der Politik und auch supranationale Politik setzt handlungsfähige Nationen voraus. Destruktiv wird der nationale Gedanke erst bei seiner Verdrängung oder Unterdrückung. Keine Friedensordnung wird auf das Recht auf nationale Selbstbestimmung verzichten können. Aber worin liegt die eminente Bedeutung des nationalen Gedankens und Bewusstseins in der modernen Welt begründet? Was hält ein Gebilde wie die „deutsche Gesellschaft“ zusammen? Kann der einzelne noch über die Bedürfnis- und Interessenbefriedigung für etwas in Anspruch genommen werden? Was kann das grundlegend Verpflichtende dafür sein, wenn nicht eine bejahte, gelebte Gemeinsamkeit? Zumindest in Deutschland war bisher der Sozialstaat der Kitt, der das Land zusammenhielt. Dessen Integrationskraft sieht seinem Ende entgegen. Hält uns noch etwas darüber hinaus als Nation zusammen? Es ist die erfahrene, erlebte, bewusste und geteilte gemeinsame Geschichte, die die Nation als Schicksalsgemeinschaft konstituiert. Die Nation war auch in den letzten 200 Jahren die Form der kollektiven Gegenwart der Geschichte in einer an sich geschichtslosen modernen Gesellschaft. Die Nation ist die Weise, in der die Geschichte für ein Kollektiv gegenwärtig bleibt. Im Grunde ist sie damit etwas Irrationales – sie ist keine rational konstruierte Größe (was dann auch zu einer mythischen Verklärung führen kann). Auch das Christentum kennt einen „christlichen Universalismus“, der doch aber stets die Völker kennt und sie als solche schätzt – Paulus wird nicht zur Menschheit gesendet, sondern zu den Völkern. Dies begründet keinen völkischen Nationalismus, aber sieht die Völker als etwas was man anerkennen und respektieren muss. Jedes Volk hat das Recht ein eigenständiges Volk zu sein, das sich in seiner Vielfalt und Besonderheit pflegt und erhält. Die Vielfalt der Völker ist das Bauprinzip der Menschheit (Herder). Dem Abstrakten, Universalen muss das Konkrete und Besondere entgegen gestellt werden. Vollendung bedeutet gerade die Entfaltung des jeweilig individuell Besonderen und Typischen, zu dem eine Nation bei ihrem Gang durch die Geschichte geworden ist, bei dem sie – wie auch jeder Mensch - gleichermaßen Zweck wie Mittel ist.

Zusammengefasst aus: Rohrmoser, Günther: Die Unverzichtbarkeit der Nation. Wider die Geschichtsvergessenheit. Bietigheim 1994.

Günther Rohrmoser erkennt richtig, dass die Nation unverzichtbar ist als berechenbare Größe in einer globalisierten Welt. Die Nation ist ein fester Maßstab von Werten, an der sich der Bürger einer Nation festhält und orientiert. Das hat den Vorteil, dass man nicht vergisst, wo man seine Heimat hat und auch nicht vergisst, dass es Menschen gibt, die etwas ganz Bestimmtes miteinander gemeinsam haben: Die Zugehörigkeit zu einem Volk.

Der ehemalige bundesrepublikanische Außenminister Joseph Fischer sprach in einem Spiegel Spezial namens "Die Erfindung der Deutschen - Wer wir wurden, wer wir sind" (der Titel ist irreführend, da die Deutschen keine Erfindung sind), dass man sich der Nation als unnötiges Konstrukt entbehren müsse und dass die Europäische Union und weitere internationale Institutionen massiv erweitert in ihren Kompetenzen werden müssten. Dass Herr Fischer damit nicht unbedingt richtig liegt, zeigt ein Beispiel an unserem Nachbarland Schweiz:
Die Schweiz hält sich seit Jahren aus internationalen politischen Angelegenheiten heraus, betreibt nur Freihandel in gewissem Maße. Und siehe da - die Schweiz ist eine der wohlhabendsten (Willens-)Nationen der Welt, auch oder gerade im Zeitalter der Globalisierung.

Zu sagen, man müsse sich im Zeitalter der Globalisierung - die ich übrigens begrüße - der Nation entbehren, ist grundlegend in Frage zu stellen.

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